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Referate der 4. Arbeitstagung, 28. Februar - 2. März 2003

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Deutschsprachige Literalität in Familie und Umfeld von Jobst Goldschmidt alias Josef Hameln

Rüdiger KRÖGER

Die bisher vorwiegend aufgrund von theoretischen Überlegungen und Schlussfolgerungen vorgetragenen, z. T. widersprüchlichen Thesen zur deutschsprachigen Literalität aschkenasischer Juden im 17. Jh. (vgl. Glikl-Tagung) zeigen, dass eine Untersuchung dieses Bereichs direkt an den Quellen einsetzen muss. In einem ersten Schritt wird deshalb die reine Unterschriftsfähigkeit festgestellt. Dabei zeigt sich ein deutlicher, nach Textfunktion differenzierbarer Gebrauch der Eigenhändigkeit, die in allen Fällen von juristischer Relevanz angewandt wurde. Eine eindeutige Verteilung der Schrift und Sprache (hebr. – jidd. – dt.) nach Geschlecht, zeitlicher Abfolge oder anderen Kategorien ist dabei nicht ersichtlich. Die Befähigung zur Verwendung deutscher Schrift und Sprache reicht – wie an verschiedenen Beispielen illustriert werden kann – über die einfache Namensunterschrift und kurze Zusätze hin bis zu sprachlich selbständigen Texten (z. B. Geleitsbriefentwurf).

Vor diesem Hintergrund sind zwei Serien von Geschäftsbriefen Jobst Goldschmidts in Hameln zu sehen, die derzeit zur Edition vorbereitet werden. Die eine allein 50 autographische Schreiben und andere Aufzeichnungen umfassende Serie betrifft die Geschäfte mit den Bewohnern von Gut Hehlen an der Weser (1639–1664), die andere Serie besteht aus je sieben von Schreiberhand und lediglich von Jobst Goldschmidt eigenhändig unterzeichneten Mahnschreiben an die Stadt Lemgo und den darauf erfolgten Antwortschreiben des Rates. Die beiden Serien ermöglichen den Einblick in die Entwicklung der Geschäftsbeziehungen und die Struktur der Geschäfte.

Die Sprache in den autographischen Schreiben des Jobst Goldschmidt lässt sich anhand von Graphie und Grammatik als ein ethnologisch abgrenzbarerer deutscher Soziolekt skizzieren. Er weist in der Schreibung auffallende jiddische Einflüsse auf. Auf der inhaltlich-stilistischen Ebene zeigen sie devote Formen und größtes Entgegenkommen.

Für Jobst Goldschmidt lässt sich ein differenzierter, ja sogar gezielter Einsatz von Medien, Sprache und Schriftlichkeit nachweisen. Er ist bezogen auf den Gebrauch der eigenen Fähigkeiten vereinfacht in die pragmatisch motivierten Gleichungen zu bringen: Vertrautheit/Nähe = Eigenhändigkeit; öffentlicher Charakter/Formalität = Schreiber. Besonderes Augenmerk ist in diesem Zusammenhang auf ein Mahnschreiben aus der Hehlener Serie zu wenden, welches deutlich vom üblichen Tenor abweicht. Die Andersartigkeit findet ihre Erklärung in dessen Anfertigung quasi als "böser Brief" auf Bestellung und nach einem vorgelegten Konzept.

Festzuhalten bleibt die zumindest in Familie und Umfeld Jobst Goldschmidts weit verbreitete Befähigung, in deutscher Schrift zu schreiben und dieses pragmatisch einzusetzen. Die Notwendigkeit, im Kontakt mit Nichtjuden darüber zu verfügen, ließ etwaige religiöse Bedenken zurücktreten und förderte offensichtlich die Lernbereitschaft.

Bericht: Birgit Klein

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