Zurück Interdisziplinäres Forum »Jüdische Geschichte und Kultur in der Frühen Neuzeit und im Übergang zur Moderne«
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Referate der 5. Arbeitstagung, 13. – 15. Februar 2004

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»Mit Leib und Seele?« Christlicher Glaube, jüdischer Körper.

Maria DIEMLING

An einer Vielzahl von Quellen lassen sich die Vorstellungen frühneuzeitlicher Christen vom »jüdischen Körper« zeigen: Christen nahmen Juden und Jüdinnen als von »der Natur gezeichnet« und als körperlich verschieden von Christen und Christinnen wahr. Eine Besonderheit dabei ist die Zuschreibung von »körperlichen Strafattributen«, mit denen die theologische Schuld der Juden am Tod Jesu und ihr »verstocktes Beharren im Irrglauben« betont wurde.

Der Beitrag ging der Frage nach, was mit diesem konstruierten »jüdischen Körper« passiert, wenn ein Jude oder eine Jüdin zum Christentum konvertiert. Spielen Körpervorstellungen in diesem Prozess der Abwendung vom Judentum und der Akkulturation in die christliche Umwelt eine Rolle? Bringt der Glaubenwechsel auch eine Änderung des Körperbilds mit sich? Wird der Körper von Konvertiten und Konvertitinnen nach der Taufe noch als »jüdischer Körper« erkannt und benannt, oder akzeptiert das christliche Umfeld den Neuchristen und die Neuchristin als eine/n von ihnen, der oder die sich auch äußerlich nicht von »geborenen Christen« unterscheidet? Wie sehen sich die Betroffenen selbst?

Mag man für das Mittelalter noch annehmen können, dass die Umwandlung in ein neues christliches Selbst tatsächlich Leib und Seele umfasste, so scheint dieser Prozess in der Frühen Neuzeit weniger geradlinig gewesen zu sein. Das spanische Beispiel mit der Besessenheit von der »Reinheit des Blutes«, das »jüdisches Blut« über Generationen zurückverfolgte und letztlich zur Einrichtung der Inquisition und der Vertreibung der Juden aus Spanien führte, ist die bemerkenswerteste frühneuzeitliche Ausprägung der Idee, dass trotz erfolgter Taufe eine vollständige Aufnahme in die christliche Gesellschaft unmöglich und unerwünscht ist. Ist das eine isolierte Entwicklung, die aus der spezifischen Situation der Massenkonversionen auf der Iberischen Halbinsel entstand, oder wirkten sich diese Massnahmen auch auf Aschkenas aus?

Der Begriff des »Taufjuden« weist darauf hin, dass man konvertierten Juden ab dem 16. Jahrhundert auch in Mitteleuropa zunehmend misstrauisch begegnete. Getauft ja, aber doch keine wahren Christen, da sie nach wie vor über ihr Judentum charakterisiert werden. Auch wenn Redewendungen und Sprichwörter diesen Argwohn unter anderem in Körpermetaphern ausdrückten, so scheint man freilich davon auszugehen, dass »körperliche Strafattribute« durch die Taufe abgewaschen werden.

Ein objektiv feststellbarer körperlicher Unterschied zwischen jüdischen und christlichen Männern ist der beschnittene Penis. Er gilt als »Zeichen des Heiligen Bundes« und ist damit ein Organ mit Sonderstellung und einer wichtigen religiösen Bedeutung. Noch konnten nicht ausreichend Quellen eingesehen werden, um zuverlässige Aussagen zur christlichen Haltung dem konvertierten, aber beschnittenen Körper gegenüber treffen zu können, aber Christen waren sich durchaus bewusst, dass trotz des Bekenntnisses zum christlichen Glauben der Jude weiterhin durch sein fleischliches Bundeszeichen gekennzeichnet ist.

Die Zugehörigkeit zum Judentum wird traditionellerweise an der Abstammung von einer jüdischen Frau festgemacht. Ein Ausweg, den der Konvertit Anthonius Margaritha (d. 1542) wählt, um sich nicht nur religiös, sondern auch genealogisch deutlich von seinem jüdischen Hintergrund zu distanzieren, ist die Konstruktion einer eigenen Abstammungslinie für Konvertiten. Ob das ein Hinweis darauf ist, dass ein konvertierter Jude sich gezwungen sah, nachdrücklich unter Beweis zu stellen, dass er sich tatsächlich mit Seele und Leib dem Christentum verpflichtet fühlte, wird noch zu zeigen sein.

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