Zurück Interdisziplinäres Forum »Jüdische Geschichte und Kultur in der Frühen Neuzeit und im Übergang zur Moderne«
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Referate der 6. Arbeitstagung, 11. – 13. Februar 2005

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»als etlich kristen ... mit dien Juden getantzet hant«. Über die Teilnahme von Christen an jüdischen Festen im Mittelalter

Markus WENNINGER

In der abschließenden Sektion am Sonntagmorgen, die Rotraud RIES (Düsseldorf) moderierte, gab zunächst Markus Wenninger (Klagenfurt) einen Einblick in Aspekte des christlich-jüdischen Zusammenlebens in Zürich im 14. Jahrhundert. Als 1996 in dem um 1330 errichteten und ausgeschmückten Festsaal des Zürcher Hauses »Zum Brunnenhof« Fresken mit weltlichen Szenen (Tanz, Falkenjagd) und zahlreichen Wappen vor allem des süd- und westdeutschen Adels, die nachgewiesenermaßen von den damaligen jüdischen Hausbesitzern in Auftrag gegeben worden waren, entdeckt wurden, stellte sich unter anderem die Frage, ob dieser Raum nur der Repräsentation der Hausbesitzer im Rahmen von Geschäftsabschlüssen oder auch zur Abhaltung von Festen unter Beteiligung von Christen und Juden gedient habe. Unter dem Einfluss der Ansicht von einer weitgehenden sozialen Trennung von Christen und Juden im Mittelalter wurde die letztere Möglichkeit eher verneint.

Tatsächlich sind im Kirchenrecht seit der Spätantike Konzilsbestimmungen bekannt, die auf eine Einschränkung des Verkehrs zwischen Christen und Juden abzielten. Im 13. Jahrhundert wurden diese deutlich vermehrt und intensiviert und enthielten nun auch ein konkretes Verbot für Christen, an jüdischen Festen teilzunehmen. Da diese Bestimmungen auch in den Schwabenspiegel aufgenommen wurden, gingen die Historiker davon aus, dass sie auch im weltlichen Recht bald Gültigkeit erlangten, zumal die wenigen bekannten Stellen in mittelalterlichen Quellen, die die tatsächliche Teilnahme von Christen an jüdischen Tanzfesten erwähnen, von dafür ausgesprochenen Strafen oder zumindest von entsprechenden Untersuchungen handeln.

Eine nähere Untersuchung dieser Texte zeigt jedoch, dass das inkriminierte Verhalten keineswegs in der Teilnahme der betreffenden Christen an jüdischen Festen lag, sondern darin, dass sie bei dieser Gelegenheit getanzt hatten, obwohl das Fest auf einen christlichen Feiertag gefallen war, an dem Christen das Tanzen verboten war. Die gerichtliche Untersuchung eines Streites, zu dem es 1391 während des abendlichen Tanzes im Rahmen einer jüdischen Hochzeit in Zürich gekommen war, zeigt dagegen ein ganz anderes Bild: Da die beiden (jüdischen) Streitparteien vor dem Ratsgericht jeweils zahlreiche am Fest teilnehmende Zeugen geltend machten, ist uns zumindest der größere Teil der männlichen Festteilnehmer namentlich bekannt. Unter ihnen befanden sich vier christliche Musikanten, aber auch mindestens dreizehn – und damit fast ein Drittel aller angeführten Zeugen! – weitere Christen, die eindeutig als Geschäftspartner oder Nachbarn (knapp die Hälfte von ihnen wohnte nachweisbar innerhalb oder in nächster Nähe des Zürcher Judenviertels) zur Hochzeit geladen worden waren. An ihrer Teilnahme an der jüdischen Hochzeit nahm offenbar trotz der seit Jahrhunderten diesbezüglich bestehenden kirchlichen Verbote niemand Anstoß.

Insgesamt ergibt sich daraus und aus einigen anderen Quellen, dass abseits der oft sehr labilen Verhältnisse zwischen der christlichen Mehrheit und der jüdischen Minderheit, die rasch in Pogrome und Vertreibungen umschlagen konnte, die Teilnahme von christlichen Nachbarn, Geschäftspartnern und Freunden an jüdischen Hochzeiten und anderen Festen selbst im oft judenfeindlichen Klima des ausgehenden Mittelalters weit verbreitet war und wohl den Normalfall bildete. Auch unter Berücksichtigung anderer Hinweise ist daher davon auszugehen, dass die alltäglichen Kontakte zwischen Juden und Christen im Mittelalter deutlich enger und intensiver waren, als das im allgemeinen angenommen wird.

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