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Referate der 3. Arbeitstagung, 13.–15. März 2002

 

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Nach jüdischem Recht oder »Puderhähner Gesezen«? – Die ehelichen Güterverhältnisse im frühneuzeitlichen Aschkenas

Birgit KLEIN, Duisburg (jetzt Düsseldorf)

Am 9. November 1784, wenige Tage vor seinem Tod, ließ der Leipziger Jude Baruch Aron Levi vor fünf christlichen Zeugen durch einen Notar sein Testament protokollieren, in dem er seiner Frau Malka die Verwaltung seines gesamten Nachlasses übertrug. Nach dem in Leipzig geltenden obrigkeitlichen Recht hätte Malka zwar als Handelsfrau das Geschäft ihres Mannes weiterführen, jedoch nicht die Vormundschaft über ihre unmündigen Kinder ausüben können. Folglich verfügte die Leipziger Vormundschaftsstube, dass deren (von ihr nach obrigkeitlichem Recht definierter) Anteil am Erbe unter die Aufsicht eines christlichen Vormunds zu stellen war, dem sie einen Juden, Elkan Herz, als weiteren Vormund beiordnete. Beide Vormünder bestritten die Gültigkeit von Baruch Levis letztem Willen, wobei Elkan Herz auch den Rat seines langjährigen Mentors, des großen Aufklärers und Philosophen Moses Mendelssohn, zurückwies, der ihm eindringlich aufgetragen hatte, in dieser Angelegenheit nach jüdischem Recht, nicht aber nach den obrigkeitlichen »Puderhähner Gesezen« zu verfahren. Nach jüdischem Recht, so Mendelssohn, »wäre die Witwe die Bevollmächtigte und Vormund und Machthaber über alle Besitztümer des vererbenden Gatten, so wie das Testament lautet«. Am vehementen Widerstand des Elkan Herz scheiterten auch die Versuche der Witwe, ihre Ansprüche zumindest teilweise mit einem sog. Vermehrungsbrief (Tossefet Ketubba) zu sichern, in dem ihr verstorbener Gatte die Standardsumme ihrer Heiratsurkunde, der Ketubba, um ein Vielfaches erhöht hatte.

Wenn sich Elkan Herz für die Anwendung des obrigkeitlichen Rechts stark machte, zeugt dies weniger von seiner »aufgeklärten« Einstellung als von seinem Bestreben, mit der Zerschlagung des Nachlasses der Witwe den schärfsten geschäftlichen Konkurrenten auszuschalten. Überdies demonstriert der Leipziger Fall, dass grundsätzlich methodische Vorsicht angesagt ist, will man von überlieferten Heiratsdokumenten auf die ehelichen Güterverhältnisse rückschließen: Zum einen war ein jüdischer Heiratsvertrag nur solange relevant, als seine Gültigkeit nicht von obrigkeitlichen Instanzen angefochten wurde. Zum anderen widerlegt der Fall die in der Literatur verbreitete Vorstellung, die Heiratsurkunde, die Ketubba, sei das Dokument schlechthin, das Auskunft über die ehelichen Güterverhältnisse gebe. Tatsächlich aber hatte und hat das jüdische Recht vielfältige Möglichkeiten, seit der Antike tradierte Rechtsinstitute durch Verträge zu relativieren und zu umgehen, denn solange es sich um finanzielle Angelegenheiten handelte, durften Verträge sogar explizit gegen Bestimmungen der Tora, der Schrift, geschlossen werden.

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