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Referate der 3. Arbeitstagung, 13.–15. März 2002

 

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Profane Wandmalereien in jüdischen Häusern des Mittelalters

Harald WOLTER-von dem KNESEBECK, Kassel

Wandmalereien in ZürichSeit dem sensationellen Fund von Wandmalereien aus der Zeit von ca. 1330 in einem Saal im ersten Obergeschoss des Hauses Brunngasse 8 in der Altstadt von Zürich gibt es erstmals ein gesichertes Beispiel für Wandmalereien in einem jüdischen Haus des Mittelalters. Beischriften mitteldeutscher Lautung in hebräischen Buchstaben, welche, unter den Wappen des Wappenfrieses angebracht, die durch sie vertretenen Geschlechter benennen, belegen, dass hier jüdische Auftraggeber aktiv waren. Da mit einer jüdischen Werkstatt für Wandmalerei nicht zu rechnen ist, sind die noch auf den nassen Putz eingetragenen Beischriften wohl zur Planung des Wappenfrieses angelegt worden. Die jüdischen Besitzer des Hauses aus dieser Zeit sind in den Urkunden der Zeit vor den großen Judenpogromen 1348/49 gut belegt: Moshe / Moses und sein Bruder Mordechai / Gumprecht ben Menachem, zusammen mit ihrer Mutter, der Frau Minne. Die Familie trat als großer Kreditgeber auf und war als solcher mit einem Kredit an den Grafen von Habsburg-Laufenburg in die Politik des alten Zürcher Rats vor dessen Ablösung im Jahre 1336 eingebunden. Sie lebte neben Christen und richtete sich auf Dauer ein, wie ein Vertrag mit einem christlichen Nachbarn belegt.

Von den vier Wänden des ehemals über 76 qm großen Saals im Erdgeschoss des straßenseitigen Baus blieben auf der Fensterfront zur Gasse hin keine Wandmalereien der ersten Ausmalung erhalten, wohl aber gegenüber. Wurde die dort erhaltene Figur versuchsweise als Esau gedeutet, so könnte sie aber auch eine der typischen Türwächterfiguren darstellen, befand sie sich doch wohl in unmittelbarer Nähe zum Eingang in den rückwärtigen Flügel des Anwesens bzw. über einem Treppenaufgang vom Erdgeschoss. Die beiden Brandmauern im Osten und Westen zeigen die großflächigsten Reste der alten Wandmalerei. Eindeutig identifiziert werden konnte ein Neidharttanz, der wild umher springende Bauern mit ebenfalls wohl bäuerlichen Tänzerinnen vereint. Auf der anderen Wand befindet sich eine Falkenjagd, bei der die Verbindung mit der Minne- oder Neidhartthematik aber nicht in gleicher Weise deutlich wird, so dass es sich auch um einen der vielen repräsentativen Jagdfriese handeln könnte, die damals nicht nur in Zürich üblich waren. Entfiele mit Esau ein eindeutig jüdisches Element, so scheinen die Wandmalereien vollständig den damals üblichen Raumausstattungen der Mehrheitskultur zuzugehören.

Vielleicht hatte aber die in der Neidhartthematik zum Ausdruck kommende Haltung gegenüber der höfischen Kultur doch eine besondere Bedeutung für die jüdischen Bewohner. Den Neidhartschen Dichtungen und den aus ihrem Motivschatz hervorgehenden Schwänken war die kritische Sicht der Dörfler gemeinsam. Aber auch die höfische Kultur wurde, etwa beim Veilchenschwank, satirisch-ironisch betrachtet. Dies war natürlich ein besonders für Bürger attraktiver Gesichtspunkt der Neidhartthematik. Was bedeutet es aber, wenn die jüdischen Bewohner des Hauses Brunngasse in diese, damals allerdings allgemeine kritische Reserve der Mehrheitskultur gegenüber der eigenen höfischen Kultur einstimmten? Vielleicht wird hier ein Aspekt fassbar, welcher über die Bestätigung des eigenen, quasi-adelig und zugleich stadtbürgerlichen Status bzw. Habitus hinausgeht, der auch Wappenfries und Falkenjagd dienen. War es nicht gerade die kritisch-ironische Reserve a là Neidhart gegenüber der höfischen Kultur, die mehr noch als bei Bürgern allgemein auch den Juden die Rezeption dieser höfischen Kultur gerade auf ihrer »Nach-Neidhartschen Stufe« überhaupt erst ermöglichte bzw. doch sehr erleichterte?

Beim Wappenfries könnte ein ähnliches Phänomen vorliegen, so dass wiederum die gleiche Form ein etwas anders geartetes Verständnis innerhalb der Gruppe der Juden nicht ausschloss. Da etliche der Wappen mit Geschäftspartnern der Familie der Frau Minne verbunden werden können, erscheint es mir denkbar, dass hier die sog. Maarufia, das Recht auf exklusive Geschäftsverbindungen eines Juden innerhalb seiner Gemeinde mit einem christlichen Geschäftspartner, eine Rolle bei der Auswahl der Wappen spielte. Sie würden dann die realen und vielleicht auch die erhofften (bzw. von der Maarufia noch nicht betroffenen, d.h. noch nicht an andere Züricher Juden geschäftlich gebundenen?) christlichen Geschäftspartner der Bewohner den Betrachtern des Saales vor Augen führen.

Die Wandmalereien der Brunngasse können gerade im Bereich von Oberrhein und in Zürich selbst in ein Umfeld eingebettet werden, das damals einer Teilhabe der Juden an der höfischen Kultur positiv gegenüberstand. Neben dem Rappoltsheimer Parzival ist hier vor allem die Wiedergabe des Juden Süsskind von Trimberg in der großen Heidelberger Liederhandschrift, dem Codex Manesse, hervorzuheben. Hier zeigen sich in direkter zeitlicher und räumlicher Nachbarschaft zu den Söhnen der Frau Minne Christen, die keine Probleme damit hatten, dass Juden an der höfischen Kultur aktiv teilnahmen.

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