zurück Interdisziplinäres Forum »Jüdische Geschichte und Kultur in der Frühen Neuzeit und im Übergang zur Moderne«
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Referate der 4. Arbeitstagung, 28. Februar - 2. März 2003

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Materialisierungen der Selbstdarstellung: Persönlichkeit und kulturelle Orientierung des braunschweigischen Kammeragenten Alexander David (1687–1765) in seinem Testament und Inventar

Rotraud RIES

In ihrem Vortrag unternahm Rotraud RIES einen neuen methodischen Zugang. Sie zeigte am Beispiel des Alexander David, zwischen 1707 und 1765 Hofjude von fünf Braunschweiger Herzögen, wie anhand von Inhalt und Kontext von Testament und Inventar, also zu einem guten Teil materiellem Besitz, Persönlichkeit, Selbstdarstellung und Identität analysiert werden können. In dem als klassisch zu bezeichnenden Tätigkeitsfeld dieses Hofjuden fällt v. a. der Handel mit Gemälden und Kunsthandwerk auf.

Der Kaufmannshof Alexander Davids, die »Alte Münze« im Zentrum der Stadt, bildete das ökonomische und kulturelle jüdische Zentrum der Stadt Braunschweig mit einem von der kleinen Gemeinde bis in die Mitte des Jahrhunderts genutzten privaten Betraum. Der kunstsinnige und transkulturell interessierte Alexander David nutzte seinen Reichtum, um in einer seiner Einkommensgruppe und seinem höfischen Arbeitsfeld gemäßen, innovativ-modernen Weise sein Haus auszustatten. Dies ist abzulesen an den Möbeln, reichlich Porzellan aus unterschiedlichen Manufakturen, einer reichen Silberausstattung, einer historisch-juristischen Bibliothek, einer zeitgemäßen Gemäldesammlung, Spieltischen, einem Cembalo und einer Orangerie. Damit kam der Kammeragent dem Lebensstil der hohen Hofbeamten nahe.

An der jüdischen Identität Alexander Davids ist jedoch ebenfalls nicht zu zweifeln: Er widmete sich religiösen Studien, besaß eine hebräisch-sprachige Bibliothek mit ca. 500-600 Bänden und einigen Manuskripten, wurde zum Gemeindegründer und stiftete eine Synagoge mit reichhaltigem Inventar. Zugleich hielt er einen intensiven Kontakt nach Halberstadt als seiner religiösen Heimat aufrecht. Hier stiftete er 6.000 RT, hier ließ er sich neben seiner ersten Frau beerdigen und hier, in der Gemeindeverwaltung, deponierte er sein jiddisches Testament. Es enthielt eine Reihe von Stiftungen, um in der traditionellen Weise für seine Erinnerung zu sorgen.

Daneben verfasste er ein deutsches, in Braunschweig hinterlegtes Testament, in dem er u.a. eine Stiftung von insgesamt 700 RT zu seinem Andenken an der Martini-Gemeinde in Braunschweig einrichtete. Von dem Ertrag des Kapitals sollte ein kleiner Teil der Unterrichtung armer Schüler, der Hauptteil jedoch den beiden Pfarrern der Gemeinde zugute kommen.

Wohltätige Spenden von Hofjuden an christliche Arme sind um die Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr ganz ungewöhnlich. Doch eine Memorial-Stiftung bei einer christlichen Kirche, der Pfarrkirche des Wohngebietes, deutet ein persönliches Verhältnis zwischen Alexander David und Vertretern dieser Gemeinde an, das es ihm erstrebenswert erscheinen ließ, in diesem christlich-gemeindlichen Kontext wie in der jüdischen Gemeinde Halberstadt für sein Andenken zu sorgen – nach dem Motto doppelt hält besser? Wie im Inventar deutet sich auch hier nicht ein kulturelles »entweder – oder«, sondern ein »sowohl als auch« an.

In dem vergleichsweise toleranten und aufgeklärten Klima am Braunschweiger Hof konnte Alexander David nicht nur vertrauensvolle und freundschaftliche Beziehungen aufbauen, sondern auch selber eine kulturelle Offenheit und Pluralität entwickeln, die sein Jude-Sein nicht in Frage stellte und ihn nicht zwang, seine Identität aufzugeben. Seine kulturelle Orientierung über die Grenzen des Judentums hinaus konnte er so als Erweiterung und nicht als Verlust begreifen, zu der ihm seine ökonomische Tätigkeit verholfen hatte. Die Voraussetzung dafür war jedoch eine selbstbewusste und stabile Persönlichkeit, die in schon deutlich moderner und individualistischer Weise in der Lage war, die Spannungen einer solchen Pluralität zu integrieren. Er war neben seiner jüdischen Bildung in einer höfischen Idealen angenäherten Form belesen, kunstsinnig und möglicherweise musikinteressiert. Wohl ohne eine theoretische Vorstellung von den Eigenschaften und dem Verhalten eines Hofmannes etwa durch die Lektüre von Castigliones Cortegiano erlangt zu haben, legte Alexander David damit einen Habitus an den Tag, den man als jüdisch-ökonomische Variante eines Hofmannes bezeichnen könnte.

Bericht: Birgit Klein

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