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Referate der 5. Arbeitstagung, 13. – 15. Februar 2004

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»... eine allzugrosse Neigung zu dem Ausserordentlichen« - Die »Bekehrungsgeschichten« von Christian Gottlieb Hirschlein und Christian Salomon Duitsch

Gesine CARL

Der Vortrag befasste sich mit den Fallbeispielen Christian Gottlieb Hirschleins und Christian Salomon Duitschs, die im Zentrum meiner Dissertation über Konversionen von Juden zum Christentum im Spiegel von Selbstzeugnissen und Biographien des 17. und 18. Jahrhunderts stehen.

Christian Gottlieb Hirschlein, der ursprünglich den Vornamen Jachiel trug, wurde 1706 in Buchau am Federsee geboren, war lange Zeit als Händler und Bußprediger tätig und konvertierte 1746 in Zürich. Sein Leben nach der Konversion ist nur bis in die 1760er Jahre hinein bruchstückhaft dokumentiert.

Salomon Duitsch, der bei seiner Taufe den zweiten Vornamen Christian annahm, kam 1734 im damals ungarischen Temeswar zur Welt, hatte verschiedene Rabbinerstellen inne und trat nach einer jahrelangen Odyssee durch halb Europa 1767 in Amsterdam zum Christentum über. Nach seiner Taufe studierte er Theologie und machte sich bald als religiöser Schriftsteller einen Namen. 1777 wurde er Pfarrer in Mijdrecht, wo er 1795 starb.

Die Entscheidung für eine »Doppelbiographie« von Hirschlein und Duitsch lässt sich dadurch begründen, dass Duitsch die Lebensgeschichte des knapp 30 Jahre älteren Hirschlein mit großem Interesse rezipiert hat. Eine Ähnlichkeit zwischen ihnen erkannte 1770 bereits der Judenmissionar Johann Gustav Burgmann, der beiden eine »allzugrosse Neigung zu dem Ausserordentlichen«, d. h. die Tendenz bescheinigte, in jedem noch so unbedeutenden Alltagsereignis ein göttliches Zeichen zu erblicken.

Schon bei einem oberflächlichen Vergleich der beiden Lebensgeschichten springen einige Parallelen geradezu ins Auge: Beide besaßen ein ausgeprägtes Bewusstsein ihrer eigenen Sündhaftigkeit und eine daraus resultierende Neigung zur Selbstkasteiung und Demut, beide schildern sehr offen und ehrlich ihren langen, von Zweifeln und Gewissenskonflikten geprägten Weg zum Christentum, und beide waren überzeugt, durch »Erweckungserlebnisse«, Träume und andere Zeichen unmittelbar von Gott geleitet zu werden. Zudem wurden sie beide durch ihre »Bekehrungsgeschichten« bekannt und setzten sich nach ihrer Taufe dafür ein, auch andere Juden für das Christentum zu gewinnen. Andererseits wird jedoch auch erkennbar, dass sie sehr unterschiedliche Persönlichkeiten waren: Während der mathematisch begabte Hirschlein offenbar ein praktischer Mensch war, der sich durch seiner Hände Arbeit selbst ernähren konnte, war Duitsch von schwacher Konstitution und konnte nicht auf eine andere Tätigkeit ausweichen, wenn sich ihm als Rabbiner keine Arbeitsmöglichkeiten boten. Vermutlich hätte er es auch gar nicht gewollt, da für ihn die Beschäftigung mit religiösen Schriften und später auch die eigene schriftstellerische Arbeit den eigentlichen Sinn seines Daseins ausmachten. Eine Gegenüberstellung der beiden »Bekehrungsgeschichten« bestätigt diesen Eindruck, denn der kurze Traktat Hirschleins, ein reiner Erfahrungsbericht, ist im Hinblick auf die sprachliche und kompositorische Gestaltung beim besten Willen nicht mit der über 260 Seiten starken Autobiographie Duitschs zu vergleichen.

Ein direkter Einfluss Hirschleins auf die Konversion Duitschs ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, da Duitsch Hirschleins Lebensgeschichte erst zu lesen bekam, als er bereits vom Christentum überzeugt war. Er dürfte sich bei der Lektüre aber in vielem wiedergefunden haben, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass ihn das Beispiel Hirschleins ermutigte, die Schwierigkeiten und Umwege seines Konversionsprozesses ebenfalls ganz ungeschönt zu beschreiben und seine »Erweckungserlebnisse« und andere göttliche »Zeichen« in seine Autobiographie zu integrieren. Eine Einwirkung Hirschleins auf die Komposition und den Stil der Lebensgeschichte Duitschs ist hingegen nicht festzustellen.

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