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Referate der 6. Arbeitstagung, 11. – 13. Februar 2005

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Die »Inventation« der Wormser Judengasse nach der Vertreibung der Juden im April 1615

Ursula REUTER

Ursula Reuter (Düsseldorf) stellte in ihrem – wegen Krankheit von Monika Grübel verlesenen – Referat die Protokolle einer »Inventation« der Häuser der Wormser Judengasse vor. Am 10. April 1615 alter Zeitrechnung – Ostermontag bzw. der 7. Tag von Pessach – wurden sämtliche Bewohnerinnen und Bewohner der Wormser Judengasse vertrieben. Diese Aktion war der Höhepunkt der in engem Zusammenhang mit dem Frankfurter Fettmilchaufstand stehenden Bürgerunruhen, die »des Heyligen Reichs Freystatt« Worms in den Jahren 1613 bis 1616 erschütterten. Vermutlich war es vor allem dem Einfluss des Anführers der von den 17 Zünften getragenen Bürgeropposition, Dr. Christophorus Chemnitius (Chemnitz), zuzuschreiben, dass nach dem Gewaltakt wieder eine starke legalistische Komponente das Agieren der Opposition bestimmte. So ließ der »ordentliche Ausschuss«, die Vertretung der Zünfte, ab dem 13. April eine mehrtägige »Inventation« der Wormser Judengasse durchführen.

Insgesamt sind Informationen zu 63 Wohnhäusern überliefert, d. h. zu knapp zwei Dritteln der Haushalte in der Wormser Judengasse. Da alle jüdischen Einwohner die Stadt hatten verlassen müssen, musste man bei der »Inventation« auf das Fachwissen von »Experten« verzichten. Die Inventarisierenden nahmen also vornehmlich das auf, was ihnen als wichtig, bemerkenswert und als Bestätigung ihrer Vorurteile erschien. Die Inventare sind daher kaum als objektive Bestandsaufnahme zu verstehen, sondern als hoch selektive Wahrnehmung der Hinterlassenschaften der Bewohnerinnen und Bewohner der Judengasse. Allerdings erfüllten die Inventationsprotokolle auch einen praktischen Zweck: Sie dienten als Grundlage der Restitutionsansprüche, die die jüdischen Haushaltsvorstände bei ihrer Rückkehr nach Worms im Januar 1616 äußern konnten.

Durch eine kritische Auswertung lassen sich aus den Inventationsprotokollen Einblicke in die Alltagskultur der Wormser Juden zu Beginn des 17. Jahrhunderts gewinnen. Funktionale Differenzierungen innerhalb der Wohnungen sind nur ansatzweise zu erkennen, und eine Unterscheidung zwischen Eigentum, Pfändern und Handelswaren ist in den meisten Haushalten praktisch unmöglich. Die Protokolle geben trotz der zu machenden Einschränkungen interessante Hinweise zu Qualität und Quantität der Handelswaren bzw. Pfänder und zum Leih- bzw. Handelsvolumen. Unterschiede zwischen Arm und Reich sind allerdings nur schwer auszumachen, zumal Angaben zum Wert der inventarisierten Gegenstände fehlen. Die Inventationsprotokolle geben somit Auskünfte über die Inventarisierer und die Inventarisierten. Allerdings sind für ihre Auswertung die Heranziehung weiterer Quellen und die Rekonstruktion des Kontexts unumgänglich. Dann aber lassen sie interessante Einblicke in das Alltagsleben der Wormser Judenschaft im frühen 17. Jahrhundert zu, die durch vergleichende Studien noch weiter vertieft werden können.

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